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Abtreibungsarzt: Ich dachte, das sei kein Mensch.. Im fünften Jahr meines Studiums habe ich Vorlesungen aus Gynäkologie und Geburtshilfe besucht. Schon in der ersten Stunde hat man uns erklärt, das Kind sei erst dann wirklich lebendig, wenn es zu schreien beginnt. Sein erster Schrei bedeutet, daß es sich um einen Menschen handelt. Davor sei das Kind einfach ein Organ der Mutter. Es herauszuoperieren, sei wie das Entfernen von Mandeln oder eines Blinddarms. Das war die kommunistische Doktrin.
Mit dieser Vorstellung habe ich mich auf Gynäkologie spezialisiert. Meine Erwartung war: Deine Arbeit ist es zu operieren, Frauen zu entbinden, Kaiserschnitte - und Abtreibungen zu machen. Mit einem Kollegen war ich dann 20 Jahre hindurch vor allem zuständig, Abtreibungen durchzuführen. Ich mochte das nicht besonders. Aber man mußte es tun.
Langsam aber entwickelte sich in mir ein Widerstand. Ich begann zu verstehen, daß da etwas nicht stimmte: Wie konnte ein Mensch erst durch den ersten Schrei lebendig sein? Als wir Ultraschall bekamen, sah ich, wie das Ungeborene am Daumen lutscht. Und bei Abtreibungen sehe ich dann diese Hand auf meinem Tisch - zerrissen! Es konnte nicht sein, daß das Leben mit dem ersten Schrei beginnt.
So begann ich mit einem Experiment: Ein Freund konstruierte für mich ein Ultraschall-Gerät. Da war dann auf dem Bild zu erkennen, daß das Ungeborene sehr lernfähig war und sinnvoll auf Einwirkungen von außen zu reagieren vermochte. So begriff ich, daß das Kind lebendig ist.
Und dann hatte ich ein Erlebnis. Ein Bekannter wollte, daß ich an einer jungen Frau, die im 5. Monate schwanger war, eine Abtreibung durchführe. Auf die Frage, wie viele Abtreibungen sie schon gemacht hatte, bekam ich zur Antwort: neun. Ich darauf: “Dann bekommt sie jetzt das Kind!" Der Bekannte mobilisierte daraufhin seine ganze Verwandtschaft, um mich zu belagern, damit ich die Abtreibung durchführe. Der Tenor: “Das sind doch Studenten, die ihr Studium beenden müssen. Wie kannst Du ihnen da nicht helfen!"
Also habe ich nachgegeben und es getan. Zunächst ziehe ich etwas heraus, eine Hand - wie üblich. Lege sie auf den Tisch. Da plötzlich: Durch etwas Jod auf dem Tisch, das den Nerv reizt, beginnt sich die Hand zu bewegen. Mein Gott! Nachdem ich mit der Abort-Zange das Kind weiter zerschnitten hatte, fasse ich einen Fuß heraus, will ihn so legen, daß nicht dasselbe wie mit der Hand passiert. Hinter mir stolpert jedoch die Hebamme und läßt alles fallen, was sie in der Hand hat. Ich erschrecke, der Fuß entgleitet mir, kommt genau neben die Hand zu liegen. Und wieder dieselbe Reaktion - auch der Fuß bewegt sich. Als ich das nächste Mal etwas herausfasse, ist es das Herz - und es schlägt noch! Schwächer und schwächer, bis es stillsteht.
In diesem Moment begreife ich, daß ich einen Menschen getötet hatte. Wie im Traum höre ich dann, daß die Hebamme, die mir assistierte rief: “Stojan, was ist mit Ihnen, was ist los!" In dem Moment, als die Hebamme nach dem anderen Arzt ruft, erwache ich aus meinem Entsetzen. Und ich beginne zu beten: “Lieber Gott, ich weiß, in welcher Scheiße ich da hocke. Aber hilf jetzt dieser Frau." Und ich kann diese Abtreibung in erstaunlich kurzer Zeit beenden.
Diese Abtreibung war meine letzte. Seit damals kämpfe ich gegen die Abtreibung und bemühe mich, Frauen von Abtreibungen abzuhalten. Jetzt passiert es mir ab und zu, daß mir in Belgrad Frauen über den Weg laufen, die mich ansprechen und sagen: “Herr Doktor, schauen Sie das Kind an: Das haben Sie gerettet!"
Wenn ich vor Gott treten werde, hoffe ich, daß Er mir wenigstens das zu meiner Rettung zugute halten wird.
Quelle: Vision 2000 Nr. 6/2004
Stoján Adasevic